Stellungnahme zu aktuellen Vorwürfen gegenüber der Gerberstraße

Stellungnahme zu aktuellen Vorwürfen gegenüber der Gerberstraße

Statement der Gerber 3

 

Liebe Lesende,

 

im Rahmen verschiedener Vorwürfe kam es dazu, dass sich die Hausprojekte der Gerberstraße Weimar mit einigen, schwerwiegenden Problematiken konfrontiert sahen. Diesbezüglich liegen uns folgende Quellen vor (neben Reposts und Kommentaren):

  • Instagram-Statement einer Band, welche sich mit betroffener Person X solidarisiert

  • Perspektiven beteiligter Personen

 

Wir als Kollektiv der Gerberstraße 3 sehen es daher ebenfalls als eine Pflicht an, auch uns in Form einer Stellungnahme zu äußern. Die Verfassung des Schriftstücks erfolgte durch Personen, welche in keinen der Konflikte involviert waren.

 

Trennung der Gerber 1 und Gerber 3:

Zur kontextuellen Einordnung erfolgt zunächst eine Unterscheidung der beiden Hausprojekte „Gerber 1“ (G1) und „Gerber 3“ (G3), um Außenstehenden einen besseren Überblick über Rahmen und Wirken der Projekte geben zu können.

 

Gerber 1 und 3 stellen zwei direkt nebeneinanderliegende Hausprojekte dar und werden daher oft als „die Gerber“, demzufolge als ein bzw. das selbe Projekt betitelt. Beide Hälften sind geschichtlich miteinander verknüpft und stehen in Kontakt, stellen in Bezug auf ihre jeweiligen Kollektive jedoch verschiedene Personenkreise dar. Dies war einer der entscheidenden Gründe für getrennte Statements.

 

Die Gerber 1 kann allgemein als linker Jugendclub bzw. Begegnungsraum für Jugendliche gesehen werden (nähere Infos zum Wirken: siehe Statement der G1). Die Gerber 3 hingegen umfasst ein Altersspektrum erwachsener Personen und soll (ebenfalls) Freiraum für politische und kreative Projekte sein. Zugleich stellen die Räumlichkeiten, u.a. die Kneipe „Wunderbar“, der G3 eine Basis für Konzerte und andere Veranstaltungen dar. Weiterhin umfässt die G3 eine Wohngemeinschaft und bietet durch Tonstudio, Siebdruckwerkstatt, Fotokammer etc. verschiedene Angebote.

 

Wie kam es zum Statement:

Die G3 kam erstmalig mit der Thematik in Kontakt, als hauseigene Veranstaltungen via Instagram mit „Täterschützer“ und vergleichbaren Begriffen repostet wurden. Da zu uns in keiner Form Kontakt aufgenommen wurde, verständigten sich beide Hausprojekte untereinander.

Unsere kollektive Stellungnahme bezieht sich auf die Inhalte der oben genannten Formate, da uns abweichend davon keine Informationen erreicht haben (dies setzen wir selbstverständlich auch nicht voraus).

Involvierte Personen äußerten Erlebtes aus einem Zeitraum, den wir circa den Jahren 2011-2018 zuordnen.

 

 

 

Bezugnahme auf die Vorwürfe:

Die Gerber 3 wurde indirekt mit verschiedenen Vorwürfen konfrontiert, auf welche im Folgenden genauer eingegangen wird. Dem voranstellen möchten wir, dass eine – von Außen transparente – Aufarbeitung vergangener Strukturen in Form einer Stellungnahme längst überfällig ist und v.a. im politischen Kontext nicht erst als Reaktion auf einen Outcall hätte erfolgen dürfen; ungeachtet dessen, welche Gegenmaßnahmen parallel sowie langfristig bereits intern getroffen wurden.

 

Im Fokus stehen die Vorwürfe aus besagten Formaten. Die betroffene Person äußert das Erleben systematisch ausgeübter, psychischer Gewalt innerhalb der Gerber. Für uns steht völlig außer Frage, dass die damaligen Strukturen des Projekts keine bis kaum präventive Maßnahmen umfassten und demzufolge aktiv begünstigten, dass derartige Übergriffe passieren konnten und langfristig Bestand hatten.

 

Da die Gerber seit der Hausbesetzung im Jahr 1990 zahlreiche „Generationen“ beherbergte wäre es schlichtweg naiv, davon auszugehen, dass es keinerlei Vorfälle gab. Daher muss ebenfalls von einer nicht kalkulierbaren, aber vermutlich hohen Dunkelziffer ausgegangen werden. Selbiges gilt für den Vorwurf der sexualisierten Gewalt in Form von verbalen Äußerungen bis hin zu Übergriffen.

Mit wachsendem Bewusstsein wurden Personen in Form eines Hausverbots ausgeschlossen, die unsere Strukturen missachteten und für sich ausnutzten.

In diesem Zusammenhang ist uns dennoch bewusst, dass die G3 strukturell begünstigt hat, dass besagte Vorfälle nicht schnell genug ausreichende Konsequenzen hatten. Auch wechselnde Mitwirkende (unabhängig vom Aufgabenbereich) stellten ein Risiko dar, für das deutlich früher ein Empfinden hätte etabliert sein müssen.

 

Anschließend daran wurde eine Kooperation zwischen G3 und Polizei in den Raum gestellt. Diesen Vorwurf weisen wir aktiv von uns, sowohl kollektiv, als auch als jeweilige Einzelpersonen. Von Seiten der G3 gab es keinerlei Kooperation mit Polizei. Die Gerber 3 stellt ein städtisch geduldetes Hausprojekt im Besetzungsstatus dar und ist aufgrund seiner Nutzung als u.a. Konzertlocation über die Jahre hinweg gelegentlich Grund für polizeiliche Kontrollen aufgrund von z.B.: Lärmbelästigung gewesen. In diesem Rahmen wurden inhaltlich lediglich Verhandlungen über die Lautstärke von Veranstaltungen geführt. Dabei wurden keinerlei Informationen weitergegeben, v.a. wurden keine Namen und Strukturen offen gelegt. Ebenso wie jede andere (kulturelle/politische) Einrichtung sind wir dahingehend auf eine oberflächliche Kommunikation angewiesen, um als Hausprojekt bestehen zu können; distanzieren uns jedoch ganz klar von einer >Kooperation< mit der Polizei!

Auch unabhängig von expliziten Vorfällen ist uns bewusst, dass die damaligen Strukturen ebenso Einfluss auf politische Beteiligung gehabt haben können. Wir als aktuelle G3-Generation möchten durch die bauliche, sowie ideele Aufrechterhaltung des Hauses weiterhin eine Basis für politische Arbeit sein.

 

Einen weiteren Aspekt bildet der Vorwurf, innerhalb des aktuellen Kollektivs seien Täterschützer weiterhin aktiv. Wie zuvor erwähnt, hat der überwiegende Teil besagter Personen keinen Kontakt mehr zur G3. Die Gründe hierfür sind verschieden und reichen von eigener Distanzierung bis hin zu mehreren Hausverboten, welche bereits seit Jahren etabliert sind und unabhängig vom aktuellen Outcall stattfanden. Im derzeitigen Kollektiv befinden sich nur noch vereinzelt Personen, welche einen Bezug zur damaligen Zeit haben.

 

In diesem Zusammenhang möchten wir vereinzelte Situationen schildern:

Gegen Person X wurde damals bereits ein Bardienstverbot verhängt, da Person X einen Gast der Kneipe „Wunderbar“ aus nicht mehr reproduzierbaren Gründen mit einem Teleskop-Schlagstock angriff. Der Geschädigte erlitt massive Verletzungen.

Parallel dazu hielt sich Person X bereits in der G1 auf. X war dabei bereits über 40 Jahre alt und hielt sich wissentlich regelmäßig in einem Jugendclub auf.

Ein hervorzuhebender Vorfall ereignete sich dort und wird aus verschiedenen Perspektiven geschildert. Es kam zunächst zu einem verbalen Konflikt, in dem Person X den Jugendlichen körperlich deutlich überlegen war und ebenfalls einen Teleskop-Schlagstock zog.

Daraus resultierte wenig später, dass Person X eine beteiligte Person in den Räumen der G3 physisch angriff. Daraufhin erhielt Person X Hausverbot in den Räumlichkeiten der G3.

Direkt im Anschluss begab sich Person X in die G1 und äußerte dort hörbar Morddrohungen gegenüber der Person, die er bereits attackiert hatte, obwohl diese nicht anwesend war.

Circa ein Jahr später fand eine Gedenkdemonstration hinsichtlich der Novemberpogrome statt, welche durch die G1 organisiert wurde. Dort wurden durch Person X gegen eine teilnehmende, jugendliche Person ebenfalls Morddrohungen geäußert. Demzufolge erhielt Person X auch in der G1 Hausverbot. Geraume Zeit später befand sich die selbe jugendliche Person auf einem öffentlichen Platz und wurde von Person X durch einen Faustschlag ins Gesicht verletzt.

 

Wir heben hervor, dass diese Verhaltensweisen in keiner Form Einzelfälle darstellen und Person X nachweislich und regelmäßig bewaffnet die Hausprojekte der G1 und G3 aufgesucht hat. Bereits das altersbedingte Hierarchiegefälle von Seiten der Person X gegenüber den Jugendlichen der G1, sowohl im Allgemeinen „Hausalltag“, als auch in betreffenden Situationen, erachten wir als ausnahmslos problematisch. Die Hausverbote wurden in G1 und G3 jeweils unabhängig voneinander ausgesprochen und bestehen seit circa fünf Jahren. Da Person X keinerlei Kontakt zu Beteiligten suchte, gehen wir davon aus, dass kein Interesse an einer Aufarbeitung besteht.

 

Wir erkennen die Betroffenenperspektive der Person X hinsichtlich strukturell begünstigender Faktoren an, welche ermöglichten, dass Übergriffe sämtlicher Arten passieren konnten, sodass Einzelpersonen dahingehend keine bzw. nicht ausreichend Begrenzungen erfahren haben.

Aufgrund zahlreicher Vorfälle ziehen wir parallel das Ergebnis, dass Person X selbst massive psychische, sowie physische Gewalt ausgeübt hat, welche letztlich beide Häuser dazu führte, X Hausverbot zu erteilen.

 

Die Kritik der damaligen Umstände ist dennoch dringend notwendig. Daher möchten wir transparent machen, welche Änderungen und Maßnahmen etabliert wurden und einen Ausblick auf Konsequenzen geben, die hinzukommend abgeleitet wurden.

 

Etablierte Schutzmaßnahmen:

Während der Corona-Pandemie musste sich das G3-Kollektiv neu strukturieren. Aufgrund ausbleibender Veranstaltungen und der fehlenden Möglichkeit Plena etc. abzuhalten, verkleinerte sich die Gruppe deutlich. Fernab davon wurden auch während dieser Zeit noch Hausverbote für Einzelpersonen ausgesprochen, einige Veranstaltungscrews beendeten daher ihre Arbeit.

Als sich die Pandemie-Gegenmaßnahmen lockerten, konnten unter Auflagen nach und nach wieder Konzerte etc. stattfinden.

Die 14-tägigen Plena wurden etabliert, woraus sich neben Veranstaltungscrews ebenso kleine Arbeitsgruppen zu spezifischen Themen ergaben. In diesem Zusammenhang gründete sich u.a. eine Präventionsgruppe, bestehend aus FLINTA* und queeren Personen.

Diese etablierte zunächst einige Awareness-Maßnahmen und arbeitet langfristig an einem Schutzkonzept. Letzteres umfasst verschiedene Risikoanalysen (G3: Wohngemeinschaft, Veranstaltungsräumlichkeiten, Kollektiv; G1; Gäste). Durch eine kleinschrittige Betrachtung der Risikobereiche sollen kollektivübergreifend weitere Präventions- sowie Interventionsmaßnahmen abgeleitet werden.

Infolgedessen wurde zudem ein Präventionsbuch etabliert, welches der Dokumentation sämtlicher Konfliktsituationen dient. Hierbei wird neben allgemeinen Daten und dem Verlauf des jeweiligen Vorfalls festgehalten, welches Personal (Bar, Einlass, etc.) zu diesem Zeitpunkt anwesend war. Die Inhalte des Präventionsbuchs werden bei jedem Treffen der Präventionsgruppe ausgewertet, sowie im 14-tägigen Vereinsplenum besprochen.

Die Präventionsgruppe agiert neben den übrigen Kollektivmitgliedern ebenfalls als Ansprechinstanz und ist über verschiedene Formate erreichbar, u.a. Beschwerdebriefkasten, Mail und Instagram.

Weiterhin wurde der stadtinterne Barfunk eingerichtet, damit ein Austausch aller beteiligten Locations im Fall von Übergriffen, Hausverboten usw. stattfinden kann.

 

Ausblick:

Der gesamte Präventionsprozess unterliegt einer stetigen, strukturübergreifenden Weiterarbeit und ist nie abgeschlossen. Unser Ziel ist es, Meldewege intern sowie extern auszubauen. Letzteres soll u.a. unabhängigere Beschwerdemöglichkeiten ausbauen.

In Abstimmung mit der G1 wird geplant, in größeren Abständen gemeinsame Plena für beide Hausprojekte zu etablieren.

Bei Neuaufnahmen bzw. Einarbeitungen im Kollektiv stellen Hausordnung, Vereinssatzung, Schutzkonzept sowie Verhaltenskodex die Voraussetzung für eine folgende Zusammenarbeit dar.

Um die Präventionsmaßnahmen bei Veranstaltungen zu ergänzen, besteht zudem die Idee einer Telefon-Bereitschaft, um Personal in der Kneipe bei Bedarf unterstützen zu können. Auf diese Weise besteht im Fall einer Krise die Möglichkeit für Betroffene, ein Telefonat oder persönliches Gespräch in Anspruch zu nehmen, sofern dies gewünscht ist.

 

Zusammenfassend bleibt zu sagen, dass G1 und G3 historisch miteinander verknüpft sind. Durch eine jahrzehntelange Kollektivgeschichte sind wir uns über zahlreiche strukturelle Probleme im Klaren. Diese versuchen wir bestmöglichst aufzuarbeiten und langfristig präventive und intervenieredene Maßnahmen zu ermöglichen.

 

Wir als aktuelles Gerber 3 Kollektiv distanzieren uns abschließend klar von Kooperation mit der Polizei und queerfeindlichen Verhaltensweisen. Wie aus vergangenen Veranstaltungen ersichtlich ist, bieten wir keinen Platz für jegliche Formen von Diskriminierung!

Bei allen Menschen, denen in der Vergangenheit aufgrund struktureller Mängel Leid jeglicher Art in unserem Haus zugefügt wurde, möchten wir uns aufrichtig entschuldigen.

 

- Das Kollektiv der Gerberstraße 3 -